wörtlich
Ursprung
Alles hier nahm seinen Anfang dort, in dem Land, in dem ich geboren wurde: in Kyrgyzstan. Meine Stadt Bishkek, früher Frunze, war damals multiethnisch: neben Kirgisen, Russen und Ukrainern, lebten dort auch viele Deutschstämmige und Juden, Uiguren, Dunganen, Usbeken, Kasachen. Heimlich auch einige Chinesen.
Die kommunistische Partei hatte versucht, dieses bunte Treiben in Bahnen irgendwelcher, damals sogenannter sozialistischer, Werte zu lenken. Unter anderem mit zahlreichen ideologie-geladenen „Dekos“. Bei uns in der Uni an den Wänden hingen große Banner mit den Konterfeis von Karl Marx, Friedrich Engels und Vladimir Lenin mit deren Zitaten, die aber alle zu unserem Leben keinerlei Bezug hatten. Eine weitere verbreitete Zwangsmaßnahme war, Texte von Lenin lesen und wiedergeben zu müssen. Diese waren voller Hass und gegen seine zahlreichen Widersacher gerichtet, die aber zu meiner Zeit bereits völlig in Vergessenheit geraten waren. Ich hatte damals oft den Eindruck, dass er gegen Alle und gegen Alles war.
Beim Besuch meiner Freundin habe ich ein Büchlein gesehen: „Aphorismen des alten Chinas“. Ich wollte das Buch ausleihen, aber meine Freundin sagte: „Ich schenke es Dir, mich interessiert es nicht“. Beim Lesen war ich völlig überwältigt: Die Texte waren voller Magie und Weisheit, in sich paradox und völlig konträr zum restlichen Informationsfeld meiner Zeit. Die staatlichen Zensoren hatten damals wahrscheinlich überhaupt nichts verstanden und dachten wohl, wenn sie es nicht verstehen, dann wird es auch sonst keiner verstehen. Und damit war das Buch zu meinem großen Glück frei gegeben worden und für mich verfügbar.
So kam ich – wie Maria zum Kind – zum ersten Mal mit der ZEN-Lehre in Kontakt. Zen ist die Synthese/Verschmelzung vom indischen Buddhismus und vom chinesischen Daoismus. Erst nach Jahren verstand ich allmählich, dass zu dieser Philosophie auch eine ganz eigene Malerei gehört. Schließlich hatte es bereits in dem kleinen Büchlein schon ein paar Tuschezeichnungen gegeben…
Andere Bilder
Bei der Betrachtung der alten chinesischer Bilder ist immer eine schöne Ruhe in mich eingekehrt. Warum eigentlich?
Auf den Bildern sind Berge, Bäume, Blumen und gelegentlich auch Menschen dargestellt. Der Mensch ist allerdings meistens eher klein und die Berge sind groß. So wie das Tian Shan Gebirge, das meine Stadt fast vollkommen umrahmt. Von der eigenständigen Perspektive ganz zu schweigen: Anstatt gegenüber dem Objekt, dem Berg, als kleine Figur des Menschen mittendrin mit dem Geschehen identifizierend wandernd.
Leere
Das Entscheidende bei dieser Kunstrichtung war und ist für mich aber immer die Leere, die zwischen den einzelnen Motiven entsteht. Tatsächlich viel leere Bildfläche, die in den zurückliegenden Jahrhunderten in der europäischen Malerei unvorstellbar gewesen wäre, die erst im 20. Jahrhundert, durch fernöstliche Ästhetik inspiriert, auch bei uns ihren eigenen Platz bekommen hat.
Die japanische Tuschemalerei-Lehrerin Naomi Okamoto schreibt über die Angst der Europäer vor der Leere und vergleicht diese mit dem Unwohlgefühl bei einer Pause, die plötzlich im Gespräch entsteht. Man versucht schnell, diese Unterbrechung des Redeflusses mit vielen Worten zu füllen. Okamotos Schüler in Europa wollen beim Malen oft noch etwas im Hintergrund dazu malen, egal was, Hauptsache, die ganze Fläche des Bildes ist ausgemalt.
In der chinesischen Kultur ist die Leere seit der Epoche der Sechs Dynastien (IV. -VI. Jahrhundert) das Hauptthema des ästhetischen Denkens.
„Die Leere ist lebendig, sie atmet, sie hat keine Form und ist die Quelle aller Formen.“
Energie auf dem Papier
Nach dem chinesischen Literatenmaler und Kunsttheoretiker des XVII. Jahrhunderts Shi Tao ist dies die Malerei der Bewegung, die „im Herzen entsteht“. Aus dem Herzen über den Arm und über die Hand, die den Pinsel hält, der mit der Tusche gefüllt ist, fließt die Energie in das Papier.
In der Praxis der Zen-Malerei lernt man in der Gegenwart zu sein, in der Einmaligkeit des Augenblicks. Konzentriert widmet man sich jedem einzelnen Strich. Kein Korrigieren. Es ist nicht offiziell verboten, aber wenn man es versucht …, dann landen die Bilder meistens im Papierkorb.
Und das ist wirklich schade. Damit sind wir beim Thema Papier angekommen, das im alten China zu den vier Schätzen des Literatenzimmers gehörte.
Mein Papier kommt aus China und Japan, ist handgeschöpft, nicht geleimt und kostbar im buchstäblichen Sinne. Aber auch toll. Auf keinem anderen Papier kann man in einem Strich mehrere Farbtöne des Schwarzes zur Geltung bringen. Ich habe viele meiner Bilder ohne Glas umrahmt, damit es unmittelbar sichtbar ist, wie besonders dieses Papier ist.
Saisonalität
Wir malen auch im Sinne der Tradition der Saisonalität: Jedes Jahr kommt Frühling und Sommer, Herbst und Winter, man malt das, was zu dieser Zeit blüht – Jahr für Jahr. Durch diese jahreszeitlichen Wiederholungen über viele Jahre entwickelt man allmählich seine Technik – und vielleicht allmählich auch eine Meisterschaft, ganz ähnlich wie beim Klavierspielen.
Baden-Baden ist für den Blumenmaler geradezu ein wahres Paradies: Seit Jahren beobachte ich in ihrer Blütezeit Magnolien und Kirschen, Peonien und Irise, Rosen und Chrisanthemen. Bambus, Kirschzweig mit den ersten Blüten und wilde Orchidee haben dabei ihren metaphorischen Sinn und ihre ganz eigene Romantik.
Leichtigkeit
Wenn man sich dieser Malerei verschrieben hat, kommt mehr und mehr Einfachheit und Leichtigkeit ins Leben. Und ich glaube schon, dass ich dabei immer mehr ich selbst geworden bin und immer noch mehr ich selbst werde.